Hallo, ich bin Mats. Ich bin 5 1/2 Jahre alt und gehe bald in die Grundschule. Zusammen mit meinem kleinen Bruder Fabian, Mama und Papa wohne ich in einer kleinen Wohnung in einem Haus mit vier weiteren Familien. Normalerweise spiele ich mit meinen Spielzeugautos, mit meinem zweijährigen Bruder oder ich mache auf meinem Fahrrad mit heulender Sirene die Nachbarschaft unsicher. An jedem Abend bringen mich Papa oder Mama ins Bett. Meistens erzählen sie mir noch eine kurze Geschichte, machen mir eine CD an und gehen dann wieder ins Wohnzimmer. Ich muss sagen, dass ich nicht wirklich gerne ins Bett gehe. Ab und an spiele ich heimlich noch etwas im Licht, das aus dem Wohnzimmer und über den kleinen Flur in mein Zimmer vordringt. Meistens stehe ich noch einige Male auf oder rufe immer wieder nach Papa. Dies treibe ich dann so lange, bis er einen hochroten Kopf bekommt und hinter mir herläuft. Ich bin aber immer schneller als er und liege bereits im Bett, wenn er um die Ecke gelaufen kommt. Er schimpft dann immer und ist etwas außer Atem. Wenn er das Zimmer wieder verlassen hat, grinse ich, schnappe mir mein Lieblingskuscheltier und schlafe dann beruhigt ein.
Doch an jenem einen Abend wurde plötzlich alles anders. Gerade wollte ich mich wieder aus meinem Hochbett schleichen, als ich auf einmal komische Geräusche hörte. Zuerst waren sie noch leise und nur undeutlich zu hören, da im Wohnzimmer der Fernseher lief, doch dann wurden sie immer lauter und lauter. Ich konnte zuerst gar nicht zuordnen, aus welcher Richtung sie kamen. Es hörte sich zuerst an wie der Wind. Ein Pfeifen, Pusten und Zischen! Aber manchmal quietschte es, als würde ein kleines Auto eine Vollbremsung machen. Durch das Licht im Wohnzimmer und mein Nachtlicht sah ich immer wieder eine undeutliche, blitzschnelle Bewegung. Ich bekam ein bisschen Angst und rutschte tiefer unter meine Decke, doch ich war auch neugierig, endlich erkennen zu können, was da diese Geräusche verursachte. Plötzlich vernahm ich zwei leise Stimmen. Sie kamen von meiner Matratze links neben mir. Zuerst sah ich nur die vielen kuscheligen Plüschtiere, die um mich herum am Bettrand lagen. Doch als ich genauer hinschaute, sah ich dort schemenhaft zwei längliche, sich hin- und herbewegende Würmer. Da sie im Schatten eines großen Teddybären saßen, schubste ich diesen kurzerhand von der Bettkante. Das schummerige Licht aus dem Wohnzimmer fiel nun etwas mehr auf die beiden Würmer. WÜRMER? Doch bevor ich sie mir genauer anschauen konnte, wurde meine Verwunderung noch größer, denn einer von ihnen rief mir mit einer piepsigen Stimme etwas zu:
„Hallo! Hallo, du da! Ja, du da! Kannst du mal da weggehen? Du sitzt auf unserer Rennbahn.“
Vor Überraschung antwortete ich in diesem Moment nicht gleich. Mir hatte es die Sprache verschlagen. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen starrte ich die beiden Würmer an. Oder waren es zu klein geratene Schlangen? Ich brauchte einige Sekunden, bis ich mir die zwei genauer anschauen konnte und meine Verwunderung stieg, als mir auffiel, wie sie aussahen. Der eine trug einen roten Helm mit einem weißen Streifen darauf und er hatte einen blauen Streifen oben auf seinem rosafarbenen Körper. Der andere trug einen blauen Helm mit einem gelben Streifen und über seinen gesamten Wurm-rücken lief ein grüner Streifen. Sie waren ein bisschen kleiner als ein Spielzeugauto und irgendwie konnten sie nie wirklich ruhig sitzen bleiben. Außerdem trugen sie im Gesicht eine kleine Schutzbrille, wie sie mancher Motorradfahrer oder Pilot zum Schutz gegen den Fahrtwind trägt.
„Hey du, was ist los? Bist du taub? Und warum schaust du uns so an? Dir kullern ja noch die Augen aus dem Kopf! Hast du noch nie Rennwürmer gesehen?“, sagte da der Wurm mit dem blauen Helm.
Also Rennwürmer hatte ich wirklich noch nicht gesehen. Regenwürmer, kleine oder große Käfer, Kellerasseln, Tausendfüßler, Ameisen, unzählige Raupen. Aber Rennwürmer?
„Mann, jetzt reicht es aber! Unser Publikum wartet!“, riefen sie plötzlich beide ungeduldig und zappelten dabei mit ihrem ganzen Körper.
Erstaunt setzte ich mich in die Mitte von meinem gemütlichen Bett. Kaum hatte ich ihnen den Weg frei gemacht, rasten sie wieder los. Meine Augen konnten ihnen kaum folgen. Immer wieder flitzten sie im Kreis an mir vorbei, bis mir schwindelig wurde und ich mich auf eines meiner weichen Kopfkissen fallen ließ. Doch die Rennwürmer ließen sich auch davon nicht mehr aufhalten, dass ich ihnen jetzt wieder im Weg lag. Sie sausten blitzschnell über meinen Bauch hinweg. Mit jeder Runde kitzelten sie mich so immer mehr, bis ich es irgendwann nicht mehr aushielt und laut loslachen musste.
„Mats, du sollst jetzt endlich schlafen!“, rief Papa mir freundlich, aber bestimmt aus dem Wohnzimmer zu.
Doch wie sollte ich schlafen oder zumindest ruhig bleiben, wenn die rasenden Würmer ihre Rennstrecke nun genau über meinen kitzeligen Bauch hinweg gelegt hatten? Immer wieder wurde mein ganzer Körper durch einen Lachanfall durchgeschüttelt. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Immer lauter und lauter wurde mein Lachen, bis Papa auf einmal in der Kinderzimmertür stand und das Licht anschaltete. Schlagartig war es ruhig in meinem Zimmer und auch das Kitzeln hatte aufgehört. Doch ich hatte immer noch Mühe, mich wieder zu beruhigen.
„Mats, was ist denn los? Was ist denn so witzig? Wir haben jetzt halb zehn und morgen musst du wieder in den Kindergarten“, sagte Papa sauer und sein Gesicht hatte schon wieder eine gesunde rote Farbe angenommen, so dass ich genau wusste, dass ich doch etwas über die Stränge geschlagen hatte.
„Aber, aber...“, brachte ich nur heraus. Papa winkte jedoch nur sauer ab und ging schon wieder ins Wohnzimmer, wo ich ihn mit Mama leise diskutieren hörte, bis sie ihn wieder beruhigt hatte und er sich mit einem lauten Seufzen aufs Sofa sinken ließ.
„Ist der komische Riese weg?“, kam da wieder leise eine piepsige Stimme unter einem meiner Kopfkissen hervor und ich sah eine kurze Bewegung an einem Kissenzipfel.
„Ja!“, flüsterte ich etwas verärgert. Anschließend versuchte ich mich in meine Kissen zu kuscheln und nahm meine Giraffe dafür in den Arm.
„Haatschi, haaa-tschi, hatschi, hatschi, hatschi... nimm die… hatschi… weg... hatschi!“, kam es da unter der flauschigen Giraffe heraus.
„Wen soll ich wegnehmen?“, fragte ich fast schon schlafend, denn so langsam wurde ich müde und mir fielen die Augen schon fast zu.
„Haaaaapu, na die... haaa... die... Giraf... hatschipu... fe“, flüsterte erneut die Stimme.
Die Stimme klang irgendwie komisch. So klagend, dass ich die
Giraffe schnell in eine andere Ecke meines Bettes warf. Dabei
erkannte ich, dass die beiden Rennwürmer halb unter ihr und halb unter meinem Kopfkissen gelegen hatten. Nun lagen sie japsend und lang ausgestreckt vor dem Kopfkissen und schauten mich aus roten und feuchten Augen an.
„Danke dir! Das war echt knapp. Wir sind allergisch gegen Giraffen. Lange hätten wir es nicht mehr ausgehalten. Aber wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Flitz, gut zu erkennen an meinem roten Helm und der mit dem blauen Helm ist mein Bruder Flink.“
Sie verbeugten sich beide kurz vor mir und lächelten mir beide freundlich zu, bevor Flitz weitersprach:
„Wir haben nach einer neuen Rennstrecke und einer neuen Wohnung gesucht. Es ist gar nicht mehr so leicht, etwas Passendes zu finden. Es soll ja gemütlich sein, um eine Wohnung einzurichten, mit viel Platz für eine Rennstrecke und zahlreiche Zuschauer soll es dort auch noch geben.“
Beim der Erwähnung der Zuschauer zeigte er mit seiner Schwanzspitze auf meine zahlreichen Kuscheltiere, die einmal ringsherum über das gesamte Bett und teilweise auch übereinander aufgereiht, um mich herum verteilt lagen. Ich verstand noch nicht ganz, was er mir damit sagen wollte, doch ich tat so, als würde ich alles verstehen und nickte wissend.
„Uns gefällt es hier wirklich sehr gut. Nur eine Wohnung suchen wir noch“, sprach da Flink. Er lispelte leicht und es hörte sich
irgendwie lustig an.
„Ich heiße Mats. Herzlich Willkommen in meinem Bett!“, stellte ich mich vor und bot ihnen meinen nigelnagelneuen Spielzeugwohnwagen und meinen großen Bauernhof als Wohnung an. Doch beides schien ihnen zu ungemütlich und vor allem auch zu weit entfernt von der Rennstrecke. Als ich ihnen noch anbot, das Wohnmobil mit ins Bett zu nehmen, hatten sie Angst, mit diesem aus meinem Hochbett zu fallen.
„Wir gehen mal auf die Suche. Du solltest aber jetzt besser mal schlafen, bevor der komische Riese wieder auftaucht und du wieder Ärger bekommst“, riet mir Flink und die beiden verabschiedeten sich von mir.
Ich war immer noch ziemlich erstaunt von der ganzen Situation. Komische, redende Würmer! Eine Rennstrecke! Meine Kuscheltiere, die Zuschauer sein sollten! Ich schüttelte wild den Kopf. Das Ganze fand ich einfach zu unwirklich.
„Ich träume doch bestimmt“, dachte ich und kniff mir so feste in mein Bein, bis es wehtat und ich leise „Aua“ schrie. Nein ich träumte nicht. Es geschah wirklich und so kuschelte ich mich wieder in meine gemütliche Decke.
„Wir haben eine Wohnung gefunden. Hier bleiben wir!“, hörte ich die zwei Rennwürmer noch kurz jubeln. Doch ich war viel zu müde, um mir Gedanken zu machen, woher dieser Jubel kam.
Dieses und 14 weitere Kapitel findet Ihr im Buch "Mats und die Rennwürmer"